Rhian Teasdale und Hester Chambers wollten nur ein bisschen Spass haben beim Schreiben von Songs. Doch dann dachten sie sich den Namen Wet Leg aus. Seitdem starten sie durch.
Hanspeter Künzler
Ein bisschen verdächtig wirkte es schon: Jedes Mal, wenn man sich bei Youtube anmeldete, wurde einem eine Band namens Wet Leg vorgeschlagen, von der man noch nie gehört hatte; der Titel ihres Songs erinnerte dabei an Biedermeier: «Chaise Longue». Wochenlang wehrte man sich dagegen, auf die manipulative Vermarktung hereinzufallen. Eines Abends aber – vielleicht waren ein paar Gläser Wein im Spiel – konnte man der Versuchung nicht widerstehen.
Und siehe da: «Chaise Longue» entpuppte sich als selten knackiger Ohrwurm: als ein eingängiges Lied im Post-Punk-Stil. Dazu passte der absurde, in lakonischem Sprechgesang vorgetragene Text im Sinne britischer Selbstironie.
Der erste Hit
Selbst das Video machte Spass: Die viktorianisch gekleidete Sängerin Rhian Teasdale trägt schmollend ihre schrägen Zeilen vor, während dahinter die unter einem bizarren Strohhut versteckte Gitarristin Hester Chambers wie ein Derwisch tanzt und dabei krampfhaft versucht, weder den Hut zu verlieren noch das Gesicht zu zeigen.
Rund dreieinhalb Millionen Mal wurde «Chaise Longue» auf Youtube und 13 Millionen Mal auf Spotify angeklickt. Seit den Arctic Monkeys und ihrer Debütsingle «I Bet You Look Good on the Dancefloor» im Herbst 2005 hat keine Indie-Gitarrenband die Vorzüge des Internets effizienter ausgenützt. Dass beide Bands beim Londoner Label Domino daheim sind, dürfte kein Zufall sein. Allerdings haben Teasdale und Chambers einen erheblichen Teil der Lieder, die nun auf ihrem Debütalbum zu finden sind, geschrieben, noch ehe die Plattenfirma auf sie aufmerksam geworden ist.
Die Musikerinnen von Wet Leg stammen von der Isle of Wight, die eigentlich kaum bekannt ist für musikalische Talente. Jachten, Villen und Touristenfallen dominieren hier. Einzig die Jazz-Funk-Gruppe Level 42 hat es von hier aus zu internationalem Ruhm gebracht. Legendär ist allerdings das Isle-of-Wight-Festival, das 1970 von Hunderttausenden von Hippies besucht wurde, die den Auftritten von Jimi Hendrix, Miles Davis, The Who und The Doors beiwohnen wollten.
Obwohl das Festival neu lanciert worden ist, hegten Teasdale und Chambers nie die Hoffnung, hier jemals auftreten zu können. Die beiden hatten sich noch als Teenager in einem Tontechniker-Kurs kennengelernt. Und beide spielten danach in allerlei Indie-Bands, ohne es auf einen grünen Zweig zu bringen. Erst Jahre später – Chambers hatte inzwischen eine Lehre im elterlichen Juweliergeschäft angetreten – kamen die Freundinnen auf die Idee, gemeinsam Lieder zu schreiben.
Sie hätten eigentlich keinen Gedanken darauf verschwendet, eine Pop-Karriere zu starten, sagen sie. Hingegen sei es eine eigenartige Erfahrung gewesen, zum ersten Mal im Leben Musik zu machen ohne Männer im Zimmer. Wichtiger noch war der Umstand, dass sie abseits jenes Trendrummels an ihrem Repertoire arbeiten konnten, der in den Pop-Metropolen London und Manchester stets für Stress und Unsicherheit sorgt; tatsächlich hat ausgerechnet die Provinz schon manchen britischen Musikern zum internationalen Durchbruch verholfen.
Teasdale und Chambers sind aber ohnehin alt und abgebrüht genug, um die Vorstellung, «uncool» zu sein, ohne Schrecken wegstecken zu können. Dabei nennen sie als ihre Idole nicht nur Indie- und Rock-Formationen wie Beirut und The Strokes, sondern auch Mainstream-Stars wie die Spice Girls und die Sugababes. Zum Live-Repertoire von Teasdale und Chambers gehört gar eine Version von Ronan Keatings «Life Is a Rollercoaster».
So unbekümmert können im Rock’n’Roll-Land Grossbritannien tatsächlich nur Musikerinnen ans Werk gehen, die der Vorstellung von Welterfolg und klingender Münze den Rücken gekehrt haben. Da passt auch ein kurioser Bandname, Wet Leg. Teasdale und Chambers hatten nicht lange gesucht, sondern auf dem Handy blindlings ein paar Emoji-Tasten gedrückt. «Wir wurden gefragt, ob wir an dem Namen wirklich festhalten wollten», sagte Teasdale der «Times». «Wir stehen dazu.» Das Musizieren führe zu einem ziemlich selbstgefälligen und flatterhaften Lebensstil. Da sei man froh um die Erdung eines simplen Namens wie Wet Leg.
Hilfe von Stars
Im Herbst 2020 haben Wet Leg ihren Plattenvertrag unterschrieben. Seither ist alles schnell gegangen. Die Vinylversion von «Chaise Longue» war wenige Stunden nach Lancierung der Vorbestellung bereits ausverkauft, genauso wie ihre Konzerte – nicht nur in England übrigens, sondern auch in den USA. Mit schwärmerischen Kommentaren rühren amerikanische Rockstars wie Dave Grohl, Iggy Pop und Florence Welch die Werbetrommel für Wet Leg.
Für einmal ist die Skepsis, mit der man den Hypes aus den britischen Pop-Küchen begegnet, unbegründet. Mit ihrem schlauen, von Dan Carey (Sophie Hunger, Goat Girl, Fontaines DC) produzierten Debütalbum zeigen Wet Leg, dass «Chaise Longue» kein Zufallstreffer war. Die Ohrwürmer jagen sich, die lakonischen Sprüche ebenfalls. Sogar ein freches Gitarrenzitat aus David Bowies «The Man Who Sold the World» wirkt so witzig und passend, als wäre es hier schon immer zu Hause gewesen.
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Ueli Bernays
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